Drachenzeit im bayrischen Viechtach mit Müller-Jontschewa und Müller
Bisher spielten Fabelwesen im Werk des Thüringer Künstlerpaares Alexandra Müller-Jontschewa (D) und Hans-Peter Müller (D) eine eher untergeordnete Rolle, obgleich eine Aufzählung durchaus lohnt: Der dreiköpfiger Drache als Erscheinungsform einer der Versuchungen des Antonius, ein totes Ungetüm beim heiligen Georg, die grüne Schlange als Märchenfigur bei Goethe. Harpyien und Drachen als Klein- oder Großskulpturen von Müller. Sagenumwobene Kreaturen als Gegenspieler des Menschen.
Seit dem letzten Jahr indes rücken auf ihren Handzeichnungen und Ölbildern Drache, Ouroboros und Co. wesentlich deutlicher in den Vordergrund, erhalten eigene Bildbedeutung und avancieren sogar zur Hauptfigur. Zu sehen waren sie als runde 2-Meter-Formate im November 2011 erstmals auf einer der bedeutendsten Expositionen zeitgenössischer Kunst in Frankreich, der „Art en capital“ im Pariser Grand Palais. Jetzt sind sie zur 2. Biennale phantastischer Kunst im bayrischen Viechtach gelandet, mit viel Beifall empfangen worden und noch bis Mitte November im Alten Rathaus zu bewundern.
Müllers gehören seit 2006 zur Gruppe „Libellule – Magic Realism“, die von Lukas Kandl (CZ/F) geführt wird. Der gebürtige Tscheche zählt zu den bekanntesten Vertretern einer Malerei, die er wie die meisten Mitglieder zwischen Surrealismus, magischem und phantastischem Realismus ansiedelt. Die internationale Künstlertruppe phantastischer Realisten „Libellule“ war dem jährlichen Auftrag ihres Gründers und Leiters gefolgt und hatte sich mit dem Thema „Phönix und Drachen“ auseinandergesetzt. Es mag von der Alchemie inspiriert sein, wie Kandl und auch Müllers selbst bestätigen. Surrealistische bzw. phantastische Kunst hat aber seit jeher einen Faible für Fabelwesen aufgrund deren hohen, oft sogar ambivalenten Symbolgehalts. Dabei geht es oft um Allegorien, die mit Wiedergeburt, Macht und Endlichkeit menschlichen Daseins zu tun haben.
„Drachenei“ von Hans-Peter Müller zeigt die Geburt eines betont weiblichen Mischwesens mit Drachen- und Harpyienkopf. In vielen Mythologien gilt das Weltenei als Urform allen Lebens. Oft spielt aber auch der Drachen als Urkraft oder eine Schlange eine wichtige Rolle. Wenn Müller nun beide Aspekte miteinander verknüpft, spielt er gleichzeitig auf den Beginn mancher Schöpfungsgeschichte an. Und zugleich auf deren apokalyptisches Ende. Vielleicht ist Müllers Version eine vorläufige metaphorische Antwort auf die philosophisch-religiöse Frage, wie (und wann) das Böse in die Welt kam.
In Alexandras „Les dragons font le temps“, auf deutsch: Drachenzeit, dominiert ein künstlich-mechanischer Metalldrachen vor einer leeren Rüstung in der Pose des Drachentöters, gefangen im überdimensionierten Hamsterrad. Eine rückwärts stürzende, geflügelte Fortuna ist das einzige lebende Wesen und – hilflos. Die einstige Herrin über das Glücksrad dem ewigen Rad des Schicksals unterworfen und dessen Willkür ausgeliefert? Wem also noch vertrauen?
Text und Fotos: Dr. Klaus Freyer