Wie der Fuchs den Thron besteigt und König wird
Hans-Peter Müller und Alexandra Müller-Jontschewa erzählen auf der 6. Biennale Phantastischer Kunst Fabeln von Jean de La Fontaine mit überraschenden Wendungen
Der intrigante Wolf zinkt den Fuchs beim gichtkranken Löwen ob dessen fehlender Präsenz beim kollektiven Krankenbesuch der Tiere an. Der Fuchs indes entschuldigt sich beim König der Tiere damit, dass er sich mit dessen Genesung beschäftigt habe. Dafür bräuchte es nur eine warme Wolfshaut, die der Löwe sich umhängen müsste. Gesagt, getan…
Bis Anfang März 2021 zeigt die internationale Künstlergruppe Libellule ihre Version La Fontain’scher Fabeln zur bereits 6. Biennale Phantastischer Kunst. Etwa 100 Gemälde von 18 arrivierten Malern aus aller Welt erzählen sie im Alten Rathaus von Viechtach/Bayern, meist in altmeisterlichen Technik, die mit erstaunlicher Präzision beherrscht wird – ein Markenzeichen von Libellule. Mit 19 Arbeiten unterschiedlichster Formate ist das in Thüringen wohnende Künstlerpaar Alexandra Müller-Jontschewa und Hans-Peter Müller vertreten, Alexandra allein mit 14, sowohl in der Ausstellung als auch im Katalog.
Die kurzen Lehrgeschichten des Franzosen, der auch auf antike Texte zurückgriff, werden oft nicht einfach illustriert – auch das ist zu sehen –, sondern phantasievoll neu interpretiert. Oder der Handlungsstrang bekommt eine überraschende Wendung. Wie bei Alexandras Triptychon (große Abbildung oben), bei dem nur noch der originale Name übrigbleibt: Der Löwe, der Fuchs und der Wolf. Alexandra entwickelt aus diesem scheinbar unverfänglichen Moralgedicht, das das menschliche Revanche-Bedürfnis nach erlittenem Unbill auf die Schippe nimmt, ein politisches Lehrstück mit aktueller Brisanz: Dem Fuchs gelingt es am Ende, den Thron zu besteigen – und sich selbst zu krönen. Ob die Künstlerin hier die altbekannten Demagogen, Einflüsterer und künftigen Verführer im Blick hat? Fast drängt sich diese Analogie zur politischen (Welt-)Bühne auf. Hans-Peter Müller zielt mit seinem „Rat der Ratten“ auf eine konfliktbeladene und mit Widerhaken bewehrte Streitfrage: Wie gehen wir mit religiöser Intoleranz um und bewahren die Religionsfreiheit? Die tierischen Protagonisten Müllers erinnert sicher nicht zufällig an Hieronymus Bosch.
Dass sich in den Handlungen der Tiere die Charakterzüge von uns Menschen spiegeln, ist eine Binsenweisheit, die bereits jedes Grundschulkind hoffentlich auch heute noch lernt. Aber: Die Fabel ist keine literarische Gattung nur für Kinder.
Die malerische Lösung, die z.B. Tomasz Kopera aus Polen für die Fabel „Der Wolf und das Lamm“ findet, zeigt dies. Ihm geht es nicht nur um das vorgebliche Recht des Stärkeren, sondern um Gewalt in der Beziehung, in der Partnerschaft. Hier wird die Symbolik der Fabel par excellence fruchtbar gemacht für die bildende Kunst.
Die Fabeln des französischen Schriftstellers La Fontaine auf die Leinwand zu bringen, war die jüngste Aufgabe, der sich Libellule unter Leitung von Lukas Kandl stellte. Klug vorausschauend, denn 2021 wird nicht nur die literarische Welt den 250. Geburtstag des Franzosen feiern. Noch im kommenden Dezember soll der erste von vier Bänden erscheinen, der die bildnerischen Interpretationen von Libellule zeigt, war aus Paris von Lukas Kandl zu erfahren, der das ambitionierte Projekt geplant hat.
(Dr. Klaus Freyer, Gera, 2020)
Text: Dr. Klaus Freyer; Abbildungen: © Alexandra Müller-Jontschewa, „Der Löwe, der Wolf und der Fuchs“ • © Hans-Peter Müller, „Der Rat der Ratten“ • © Tomasz Kopera, „Der Wolf und das Lamm“ (alle privat)